Eine Geschichte von Dieter Theobald
Vom König mit den leeren Händen
In einer Kirche sollte ein Krippenspiel sein, wie jedes Jahr an Heiligabend. Diesmal hatten junge Leute das Krippenspiel selbst geschrieben. Und sie hatten wirklich an alles gedacht. Sogar an Ochs und Esel, ja sogar an das Stroh. Bei der Generalprobe, bei der angeblich alles schief gehen muss, ging tatsächlich allerhand schief. Kaum einer hatte seinen Text im Kopf, die Kulisse war noch kolossal unfertig, und was das Schlimmste war: die drei Könige hatte man schlicht vergessen. Aus unerfindlichen Gründen hatte man diese so wichtigen Rollen überhaupt nicht besetzt. Da man sie aber irgendwie doch für unentbehrlich hielt, schlug jemand vor, in der Gemeinde rumzufragen, wer spontan bereit wäre, König zu sein. Es müsse ja jetzt kein Text auswendig gelernt werden, es würde genügen, wenn die drei ein Geschenk mitbrächten und dies an der Krippe ablegten. Gesagt, getan. Und so war es wieder einmal ganz plötzlich Weihnachten und der Heilige Abend stand auf dem Programm. Die Kirche war voll, die Leute gespannt und die Schauspieler aufgeregt. Das Krippenspiel begann und es lief gut. Wunderbar, niemand blieb hängen und wenn doch mal einer ins Stottern kam, war es genau an der richtigen Stelle und hatte zur Weihnachtsgeschichte wunderbar gepasst. Und dann die letzte Szene: Auftritt der drei Könige, die last Minute zu dieser Ehre gekommen waren. Ohne geprobt zu haben traten sie auf, so wie es eben ist im Leben. Der erste König war ein Mann. Mitte vierzig vielleicht oder auch schon älter. Er hatte eine Krücke dabei, die er offenbar aber gar nicht brauchte. Alle schauten gespannt und spitzten die Ohren, als er die Krücke vor der Krippe ablegte und sagte: „Ich hatte in diesem Jahr einen Autounfall. Ich lag lange im Krankenhaus. Niemand konnte mir sagen, ob ich je wieder laufen kann. Jeder kleine Fortschritt war für mich ein Geschenk. Diese Zeit hat mein Leben verändert. Ich bin aufmerksamer und dankbarer geworden. Es gibt für mich nichts Kleines und Selbstverständliches mehr: Aufstehen am Morgen, sitzen, gehen und stehen, dabei sein, alles ist wunderbar, alles ein Geschenk. Ich lege diese Krücke vor die Krippe als Zeichen für meinen Dank für den, der mich wieder auf die Beine gebracht hat.“ Es war sehr still geworden in der Kirche, als jetzt der zweite König nach vorne trat. Es war eine Königin, eine Mutter von zwei Kindern, sie sagte: „Ich schenke dir etwas, was man nicht kaufen und nicht sehen und nicht einpacken kann –und was mir heute das Wertvollste ist. Ich schenke dir mein JA, mein Einverständnis zu meinem Leben, wie es geworden ist, auch wenn ich dazwischen oftmals nicht mehr glauben konnte, dass du wirklich einen Plan für mich hast. Ich schenke dir mein JA zu meinem Leben und zu allem was dazugehört, mein JA zu meinen Schwächen und meinen Stärken, meinen Ängsten und meiner Sehnsucht, zu den Menschen, die zu mir gehören, mein JA zu meinen Zweifeln und auch zu meinem Glauben. Ich schenke dir mein JA zu Dir, Heiland der Welt.“Jetzt trat der dritte König vor. Ein junger Mann mit abenteuerlicher Frisur, top gekleidet, gut gestylt, so wie er sich auf jeder Party sehen lassen könnte. Alle hielten den Atem an, als er mit ziemlich lauter Stimme sagte: „Ich bin der König mit den leeren Händen. Ich habe nichts zu bieten. In mir ist nichts als Unruhe und Angst. Ich sehe nur so aus, als ob ich das Leben leben kann. Hinter der Fassade ist nichts, kein Selbstvertrauen, kein Sinn, keine Hoffnung. Dafür aber viel Enttäuschung, viel Vergebliches, viele Verletzungen. Ich bin der König mit den leeren Händen. Ich zweifle an so ziemlich allem, auch an dir, Kind in der Krippe. Meine Hände sind leer. Aber mein Herz ist voll, voller Sehnsucht nach Vergebung, Versöhnung, Geborgenheit und Liebe. Ich bin hier und halte dir meine leeren Hände hin und ich bin gespannt, was du für mich bereit hast ...........“Tief beeindruckt von diesem unerwarteten Königsauftritt stand jetzt eine merkwürdige Sprachlosigkeit im Raum – bis Josef spontan zur Krippe ging, einen Strohhalm herausnahm, ihn dem jungen König in die Hände gab und sagte: „Das Kind in der Krippe ist der Strohhalm, an den du dich klammern kannst.“Weil alle spürten, dass so gesehen alle mehr oder weniger Könige mit leeren Händen waren, trotz voller Taschen und Geschenke, konnte man die Betroffenheit mit Händen greifen. Und so kam es, dass am Ende alle Leute in der Kirche nach vorne zur Krippe gingen und sich einen Strohhalm nahmen. Und da wurde auf einmal deutlich, dass es am Heiligen Abend ganz und gar keine Schande ist, mit leeren Händen dazustehen, sondern geradezu die Voraussetzung dafür, dass man etwas entgegennehmen, etwas bekommen kann.
Andrea Hoprich-Rudloff (Mittwoch, 27 April 2016 11:41)
Eine wunderschöne Geschichte, die mich zu Tränen gerührt hat. Ja, nur wenn wir mit lehren Händen zu Gott kommen, kann er uns so reich beschenken. Vielen Dank für diese Geschichte.
Martina (Dienstag, 16 Dezember 2014 22:52)
Bin per Zufall auf den Blog gestossen und diese Weihnachtsgeschichte hat mich grad sehr berührt. Steht bei uns doch auch am Sonntag das Krippenspiel an.
Beim genaueren Betrachten der HP, entpuppt sie sich immer mehr als Schatzkiste, mit all diesen Links.
Vielen, vielen Dank!!!